Witten (NRW) – [–>Seltsame Devise bei der Knöllchen-Stelle: Wenn Sie schon rasen, dann aber bitte richtig schnell!
Mit dieser äußerst ungewöhnlichen Argumentation hat der Ennepe-Ruhr-Kreis den Widerspruch eines Arztes zurückgewiesen. Dessen Mitarbeiterin war in Witten (Ruhrgebiet) geblitzt worden, als sie einer todkranken Patientin zu Hilfe eilte. 38 km/h in der Tempo-30-Zone – das bringe laut Amt keinen „messbaren Zeitgewinn“. Also gibt es ein Bußgeld, obwohl es sich um einen Notfall-Einsatz handelte.
„Die Patientin hatte Lungenkrebs“
Dr. Matthias Thöns (57), Arzt im Palliativ-Netzwerk Witten (NRW), kann da nur mit dem Kopf schütteln: „Die Patientin hatte Lungenkrebs und plötzlich akute Atemnot – ein absoluter Notfall. Für die Betroffenen geht es da um jede Sekunde.“
Den Notruf 112 habe die Frau, die zu Hause sterben möchte, bewusst nicht gerufen, da der Rettungsdienst Patienten wie sie oft ins Krankenhaus bringe. Dahin wollte sie aber nicht.
Als der Bußgeldbescheid über 30 Euro in die Praxis flatterte, war sich der Arzt noch ziemlich sicher, die Sache mit dem Verweis auf den ärztlichen Einsatz schnell vom Tisch zu bekommen.
Da hatte er die Rechnung aber ohne das zuständige Kreishaus gemacht: Die Beamten dort beriefen sich auf ein OLG-Urteil, nach dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Notfall nur bei besagtem „messbaren Zeitgewinn“ zulässig sei: „Das liegt bei einer Überschreitung von 8 km/h nicht vor.“ Heißt: Die Arzthelferin war zu schnell, aber auch zu langsam.
Kreis sieht keinen Grund für Ausnahme
Der Kreis erklärte, man habe „Verständnis für die Sorgen, Nöte und Gefühlslage der Patienten“, doch sei zu schnelles Fahren ohne Blaulicht und Martinshorn nun einmal grundsätzlich nicht erlaubt.
Es gebe zwar Ausnahmen, doch in diesem Falle liege keine vor. Ein Sprecher der Behörde: „Teile der Argumentation im vorliegenden Fall lassen darauf schließen, dass der Betroffene es für angemessen halten würde, wenn sämtliche Geschwindigkeitsüberschreitungen seiner Mitarbeiter ungeahndet bleiben würden.“ Die Fahrerin habe man ermittelt, zahle sie nicht, müsse ein Gericht entscheiden.
Dort hat die Frau laut Arndt Kempgens (56), Fachanwalt für Verkehrsrecht, wohl gute Karten. „Die Begründung des Kreises ist wirklich absurd und zynisch. Immerhin ist die Geschwindigkeit um fast 30 Prozent überschritten worden, schneller wäre viel zu gefährlich. Ein Richter wird bestimmt den ‚rechtfertigenden Notstand‘ anerkennen.“